„Anzeiger für Harlingerland / Friesische Heimat“ vom 16. Februar 2023 / Von Harm Poppen
Müller Tamme Wiebersiek baut eigene Mühle
BAUWERK – Der Galerieholländer in Schweindorf mahlte vor mehr als 100 Jahren das Korn – Bäckerei und Sägewerk im Anbau
Harm Poppen
SCHWEINDORF. Seit Jahrhunderten prägen die Windmühlen die ostfriesische Landschaft. Auch das Landschaftsbild des Holtriemer Landstrichs wurde in der Vergangenheit von zahlreichen Windmühlen bestimmt. So gab es Windmühlen in den Gemeinden Blomberg, Nenndorf, Neuschoo, Ochtersum, Schweindorf, Utarp und Westerholt.
Die Existenz dieser Mühlen war unangefochten bis Dampfmaschinen und Motoren begannen, die Naturkraftanlagen zu verdrängen. Viele der vorgenannten Holtriemer Mühlen sind im Laufe der Jahre allerdings verschwunden, andere stehen als Bauruinen in der Landschaft. Die Windmühlen in Schweindorf und Nenndorf konnten restauriert und erhalten werden. Sie werden von Mühlenvereinen betreut, dienen als Anziehungspunkt für Urlaubsgäste und Einheimische, denn das Mahlen von Korn durch eine windgetriebene Mühle gilt heute als eine Attraktion.Besonderes Bauwerk
Etwas abseits der Esenser Straße zwischen den Ortschaften Schweindorf und Westerholt finden wir eine weitere Windmühle, die nicht direkt in das zuvor beschriebene Schema der Holtriemer Mühlen passt. Die interessante Geschichte sowie die heutige Nutzung dieser Mühle, die bereits ihren einhundertsten Geburtstag feierte, soll hier kurz beschrieben werden.
Seit dem Jahr 1848 gab es in der Gemeinde Schweindorf eine von dem Müller Tönjes Eckhoff erbaute Windmühle. Am 27. November 1901 wurde Johann Klaashen aus Schweindorf neuer Eigentümer der Mühle. Da Klaashen von Beruf Lehrer und kein Müller war, bewirtschaftete der Müller Tamme Wiebersiek die Mühle als Pächter. Wie oft bei Mühlen dieser Art, löste sich nach einem heftigen Sturm die Bremse des Achsrades, das Rad lief heiß und durch die sich entwickelnde Hitze entwickelter sich ein Brand. Dieses geschah so am 20. August 1906 in der Klaashenschen Mühle, und die Mühle wurde ein Opfer der schnell um sich greifenden Flammen.Eigener Ersatzbau
Nachdem sich der Mühlenbesitzer Johann Klaashen unter dem Eindruck dieser Katastrophe zunächst nicht zu einem Wiederaufbau oder Neubau der durch den Brand völlig zerstörten Mühle entscheiden konnte, entschloss sich Pächter Tamme Wiebersiek, auf dem familieneigenen Grundstück an der Esenser Straße eine eigene Mühle zu bauen. Wiebersiek sah in dem Mühlenneubau eine wirtschaftliche Zukunft. Außerdem versprachen seine fünf Brüder, bei dem Bau tatkräftig mitzuhelfen, und einen privaten Geldgeber zur Finanzierung des Mühlenneubaues fand er auch.
So wurde mit vereinten Kräften Anfang des Jahres 1907 mit dem Bau einer dreistöckigen Holländerwindmühle mit Galerie und Windrose begonnen. Im Herbst des Jahres war der Bau vollendet und eine neue, moderne, schöne und prächtige Windmühle begann zu arbeiten. Um noch wirtschaftlicher arbeiten zu können, wurde der Mühle eine Bäckerei angegliedert.
Über dem Toreingang befindet sich in Sandstein die Inschrift „Im Schutze Gottes erbaut im Jahre 1907“. Diese Inschrift macht deutlich, wie sehr Tamme Wiebersiek auf der Richtigkeit seiner Entscheidung, eine eigene Mühle zu bauen, vertraute. Diese Überzeugung erlitt allerdings einen leichten Rückschlag, als bekannt wurde, dass die abgebrannte Klaashensche Mühle doch wieder aufgebaut werden sollte, was dann auch geschah.
Ab diesem Zeitpunkt gab es in der Gemeinde Schweindorf dann zwei Windmühlen, für eine derart kleine Gemeinde sicherlich ein etwas ungewöhnlicher Vorgang.Der Sohn übernimmt
Tamme Wiebersiek verstarb am 8. Januar 1916. Der Mühlenbetrieb wurde deshalb von seinem Sohn Karl weitergeführt. Um die Rentabilität der Wiebersiekschen Mühle weiter zu steigern, gliederte er 1925 an die Mühle zusätzlich noch ein Sägewerk an. Die umliegenden Landwirte, Bauunternehmer und Baustoffhändler ließen hier ihr Holz zuschneiden, sodass sich Mühle, Bäckerei und Sägewerk insgesamt zu einer auskömmlichen Existenzgrundlage entwickelten.
Nachdem sich der Motorbetrieb in Mühlen immer mehr durchsetzte und die Mühlenflügel der beschriebenen Mühle zu einem Sicherheitsrisiko wurden, mussten das prächtige Flügelpaar 1967 abgebaut werden. Bis zum Ende des Jahres 1978 wurde in der Mühle noch gemahlen, allerdings nicht mehr mit Windkraft, sondern durch die Kraft der Elektromotoren.Die dritte Generation
Der nachfolgende Besitzer Tamme Wiebersiek, ein Enkel des ersten Mühlenbesitzers, nutzte das Erdgeschoss der Mühle an der Esenser Straße als Gruppenraum für Urlaubsgäste, die in den der Mühle angrenzenden Räumen rustikale Übernachtungsmöglichkeiten vorfanden. Ein Geheimtipp war das Mühlenfrühstück mit selbst gebackenem Brot, liebevoll zubereitet von Ehefrau Helga Wiebersiek.
Es war ein besonderes Erlebnis, dort zu wohnen, wo überdicke Backsteinwände davon zeugen, dass hier vormals Korn gemahlen und Holz gesägt wurden. Seit 2005 betreibt Tochter Sprachheilpädagogin Wilma Wiebersiek im Haus eine Praxis für Sprachheilpädagogik.